12. November 2012

"Wie komisch ist das denn?!"

Raab bricht alle Rekorde im Breitbeinigsitzen, Peter Limbourg findet alles ganz toll und Verena Delius wird von allen Seiten angetatscht. Der Gang zu Limbourg und seinem Touchpad erinnert an die Election Night des ZDF oder auch an Oliver Welke in der letzten heute show. Die Frankfurter Rundschau hat "Absolute Mehrheit" in diesem Zusammenhang dann auch gleich indirekt als "Politcomedy" klassifiziert.
Herr Fuchs, der nicht die Gans gestohlen hat, fragt Raab, ob er besser programmieren könne als er, um - so Raab: "Die Penner aus dem Internet" zu vertreiben. Thomas Oppermann denkt da eher wie Herr Kubicki, der sagt alle 10 Minuten: "Wie komisch ist das denn?!". Und zur Not hackt man eben auf Philip Rößler rum. Oppermann stellt klar: "Mobbing ist nicht gut." - allerdings nicht auf Rößler bezogen. (Und keiner stört sich an Stäbchenwitzen.)
Delius fragt: "Welche Möglichkeiten hätte ich denn, Herrn Fuchs oder Herrn Oppermann kennenzulernen, wenn ich heute Abend nicht hier gewesen wäre? Soll ich irgendeinen Fanbrief schreiben?..." - "...auf Facebook, auf Facebook!" ruft Jan van Aken. "Aber Herrn Kubicki würde ich überhaupt nirgendwo finden.", nein, der möchte schließlich auch persönlich kennengelernt werden. Herr Fuchs findet die Bundestagsapp ganz wunderbar, ist aber ausnahmsweise kein Game dabei. Wir lernen: Bundestag hat wenig mit Game zu tun. Da bricht Raab die Diskussion dann lieber ab. "Mut und Pioniergeist" - Floskel des Abends die Zweite. "Ich geh jetzt mal rüber zu Peter Limbourg" - Drei. Jener Limbourg kann sich vor Enthusiasmus kaum halten, auch wenn mans ihm irgendwie nicht ansieht. Ein gequältes Kompliment an Raab: "Sie können auch Politik." - Raab seufzt fast noch gequälter. "Die Herrschaften, die hier waren, haben ein menschliches Antlitz gezeigt."

Letztens hieß es bei SPON, Unterhaltung habe im deutschen Fernsehen viel mit Leiden zu tun. Noch mehr, so scheint mir, hat sie allerdings mit Hektik zu tun. Was bleibt, sind "die geile Drei" und "Putzel22" oder, wie Jan van Aken sagte: "Purzel23".

Screenshot aus "Absolute Mehrheit - Meinung muss sich wieder lohnen" vom 11.11.2012 (Quelle)

24. September 2012

"Respekt? Wovor Denn?" - Ja, wovor?

Ganz im Sinne eines guten und sehr interessanten Artikels, der kürzlich auf ZEIT Online erschienen ist, versuche ich mich einmal an meinem eigenen Verstand. Sapere aude! Denn wenn ein religionskritischer, sich selbst als aufklärerisch deklarierender Kommentar mehrheitlich auf ein (bedingungsloses) "Amen" stößt, entbehrt das nicht einer gewissen Ironie des Schicksals.

Drum habe ich mir die einzelnen Punkte von Michael Schmidt-Salomons Kritik an der "Ideologie des falschen Respekts", wie er sie nennt, einmal genauer angesehen und ein paar Gedanken notiert. (Alle folgenden Zitate stammen aus dem Artikel "Respekt? Wovor Denn?" von Michael Schmidt-Salomon, seine numerische Gliederung habe ich zur besseren Übersicht fett gesetzt und unterstrichen.)

"Die Ideologie des falschen Respekts ist, wie ich meine, gleich in mehrfacher Hinsicht schädlich:
Erstens verstärkt sie die religiöse Kritikphobie durch das Ausblenden des aversiven Reizes." 
Unter "aversivem Reiz" habe ich (als absolut dilettantischer Laie auf diesem Gebiet) bisher immer ein unangenehmes Ereignis verstanden, das zu einer Vermeidungsreaktion führt. Das Internet sagt mir: "Bei einem aversiven Reiz [...] im Sinne der Lernpsychologie handelt es sich um einen negativen Stimulus, bei dem eine Vermeidungsreaktion ausgelöst wird." (Quelle) Wird der aversive Reiz durch das Ausbleiben von Kritik (aufgrund von "falschem Respekt" oder wodurch auch immer) also gar nicht erst ausgelöst, kommt es auch zu keiner Vermeidungsreaktion. Wer keiner Kritik ausgesetzt ist, der muss sie nicht meiden oder gar fürchten - der potentielle aversive Reiz wird ausgeblendet. Wie aber kommt es dann zur Kritikphobie?

"Zweitens  ermutigt sie Fanatiker dazu, noch heftiger zu protestieren, um künftig jede Form von Religionskritik zu unterbinden."
Das kann ich nicht beurteilen. Es scheint aber logisch zu sein (vor allem im Bezug auf Fanatiker).

"Drittens stellt sie weltanschauliche Borniertheit unter "Denk-mal-Schutz", indem sie den Fundamentalisten das "Geschenk der Kritik" vorenthält."
Wenn ich mich recht an Kant erinnere, so gilt: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. [...] Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. [...]"

Unmündigkeit ist selbstverschuldet, wenn Entschluss und Mut fehlen, sich des eigenen Verstandes zu bedienen ohne Hilfe anderer. "Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten." - laut Kant muss das aber sein, der Weg des Einzelnen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit führt nur über Selbstaufklärung und -Erkenntnis. Würde das "Geschenk der Kritik" bloß überreicht werden, bestünde der "Denk-mal-[selber]-Schutz" ersteinmal weiter (bis zum selbstverursachten Ausgang des Einzelnen aus seiner Unmündigkeit): "Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen."  

(Zitate aus: Immanuel Kant, "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?", Berlinische Monatsschrift, Dezemberheft 1784)

"Viertens ist sie paradoxerweise besonders respektlos gegenüber den Gläubigen, weil sie diese wie kleine Kinder behandelt, denen man bestimmte Dinge nicht zumuten darf."
 Das stimmt.

"Fünftens führt sie zu einer Überbetonung der Interessen jener Personenkreise, die in ihrem Denken und Handeln noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen sind."
Naja. Würde eine gesteigerte Aufmerksamkeit in Form von Kritik nicht das Gleiche bewirken? (Wenn sie auch vielleicht nach und nach zu einer Widerlegung dieser Interessen führt.)

"Sechstens verführt sie Politiker dazu, das Täter-Opfer-Prinzip umzudrehen, indem sie die Schuld für die Störung des öffentlichen Friedens den betroffenen Künstlern zuweisen – statt den Fanatikern, die nicht angemessen auf Kritik reagieren können."
Wenn ich mir die Situation rund um die Mohammed-Karikaturen in Frankreich ansehe, scheint es so, als habe die dortige Politik Angst vor Fanatikern als potentiellen Tätern (sie lässt Botschaften und Schulen schließen) und sieht sich selbst in diesem Zusammenhang als potentielles Opfer. Die Karikaturisten, die man aufforderte, weitere "Provokationen" zu unterlassen, werden dabei als Anstifter oder (Mit-)Verantwortliche der möglichen Täterschaft von Fanatikern gesehen - die Fanatiker also sind in dieser Konstellation (potentielle) Täter (verantwortlich für eine Störung des öffentlichen Friedens - oder man traut sie ihnen zumindest zu) und Opfer (der Provokationen) zugleich. Die Künstler "lediglich" Mitverantwortliche oder etwas stärker ausgedrückt: Auslöser von Taten anderer.

Man könnte an dieser Stelle nun etwas plakativ fragen, ob Satire, die bewusst Gefühle bestimmter Personen verletzt, nicht von einer Unfähigkeit zeuge, angemessen auf diese Emotionen anderer zu reagieren? 
Das Ganze weist auf das Konfliktpotenzial zwischen künstlerischer und religiöser Freiheit hin. In Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es dazu: "Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt." Der Religiöse darf also nicht das Recht auf Meinungs- und Entfaltungsfreiheit des Künstlers beschneiden, genauso wenig wie der Künstler dem Religiösen sein Recht auf Religionsfreiheit und die ungestörte Religionsausübung abspenstig machen darf. Das ist eine sehr schwierige Gradwanderung, der im Zweifelsfall mit Meinungsfreiheit und Toleranz begegnet werden sollte, wie ich finde. In diesem Zusammenhang vielleicht empfehlenswert: "Religion, Kunst und Provokation", ein Dossier der ARD.

Generell stimme ich Schmidt-Salomon aber zu, dass Künstler nicht zu Tätern stilisiert werden dürfen. Die Meinungsäußerung anderer Personen sollte nie zur Störung des öffentlichen Friedens führen, sondern höchstens zu Protest im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit.

"Siebtens hat die Ideologie des falschen Respekts eine Aushöhlung der Meinungs-, Presse-, Kunst- und Forschungsfreiheit zur Folge."
Auch diese Aussage dreht sich um den Eiertanz zwischen Meinungsfreiheit und Recht auf persönliche Ehre (GG, Art. 5, Abs. 2) - dem in der Regel über Respekt Wirkung verliehen wird. "Falscher Respekt" (egal in welche Richtung), der dazu führt, dass man die eigene Meinung und daraus resultierende Handlungen (natürlich immer im Rahmen der Verfassung) zurückhält, höhlt das Recht auf die oben genannten Freiheiten insofern aus, als dass sie nicht mehr zur Anwedung kommen.

"Und achtens ist sie mit dem Verrat der Prinzipien der Streitkultur der Aufklärung verbunden, die ja gerade deshalb so produktiv ist, weil sie Debatten fördert, in denen tradierte Sichtweisen schamlos verletzt werden können."
Ich beuge mich einmal, auch auf die Gefahr hin, hinkende Vergleiche zu ziehen oder dass der/die LeserIn Falsches über mich denkt, so weit aus dem Fenster zu behaupten: auch falscher (oder zumindest überzogener!) Respekt vor Religionskritikern und Atheismus behindert auf eine Art und Weise die vollkommen offene Debatte. Bedeutet die Freiheit des Geistes, wie Aufklärer sie sich wünschen, nicht immer wieder alle Gedanken zu hinterfragen (ohne Leitung eines anderen, ohne vorgedachte Ideen Dritter)?

Würde man, wie Schmidt-Salomon es fordert, "Hardcore-Religiöse" mit Satire und Kritik überschütten, bedeutete das dann nicht indirekt mehr Respekt für die eigenen Ideen, die eigene Weltanschauung zu fordern? "Bei Licht betrachtet hätten religionsfreie Menschen also weit triftigere Gründe, sich in ihren weltanschaulichen Gefühlen verletzt zu sehen. Offenkundig jedoch sind ihre weltanschaulichen Empfindungen weit weniger verletzungsanfällig als religiöse Gefühle.", schreibt er zwar. Seine antireligiöse Einstellung aber stellt er deutlich über das Religiöse. Er möchte durch Desensibilisierung die Gläubigen "umerziehen" und seiner Idee mehr Raum verschaffen, indem er ihn religiösen Vorstellungen zuvor entzieht. Im Grunde fordert er Respekt für seine Sicht auf die Dinge ("Hüten wir uns also vor der Ideologie des falschen Respekts! Nicht auszudenken, wo wir heute stünden, wenn die Aufklärer der Vergangenheit größere Rücksicht auf religiöse Gefühle genommen hätten: Womöglich würden in Europa noch immer die Scheiterhaufen brennen…") und qualifiziert Respekt vor religiösen Gefühlen als "falsch" ab. Und nun kommen wir zum vielleicht am stärksten hinkenden Teil dieses Absatzes: bedeutet das nicht eine geradezu antiaufklärerische Bevormundung der Religiösen, wie er sie selbst in Punkt Vier bemängelt?


Und nun zum Schluss noch einmal Kant. Die Stelle rund um das von mir hervorgehobene Wörtchen spiegelt meine Meinung zum Thema recht gut wider. (Vielleicht ist wirklich frei in diesem Sinne nur, wer sich auch frei macht von dem Gedanken, Religion sei in jedem Fall Opium fürs Volk. Ohne dabei das Hinterfragen von Religion zu unterbrechen, versteht sich.)
"Wenn denn nun gefragt wird: leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung. Daß die Menschen, wie die Sachen jetzt stehen, im ganzen genommen, schon imstande wären oder darin auch nur gesetzt werden könnten, in Religionsdingen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines andern sicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch sehr viel. Allein, daß jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, sich dahin frei zu bearbeiten [...] In diesem Betracht ist dieses Zeitalter das Zeitalter der Aufklärung oder das Jahrhundert FRIEDERICHS.
Ein Fürst, der es seiner nicht unwürdig findet zu sagen, daß er es für Pflicht halte, in Religionsdingen den Menschen NICHTS vorzuschreiben, sondern ihnen darin volle Freiheit zu lassen, der also selbst den hochmütigen Namen der Toleranz von sich ablehnt, ist selbst aufgeklärt und verdient von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige gepriesen zu werden, der zuerst das menschliche Geschlecht der Unmündigkeit, wenigsten von seiten der Regierung, entschlug und jedem frei ließ, sich  in allem, was Gewissensangelegenheit ist, seiner eigenen Vernunft zu bedienen. [...]" 
(Immanuel Kant, "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?", Berlinische Monatsschrift, Dezemberheft 1784)


Kritik, Gegenmeinungen - alles jederzeit sehr willkommen!

22. September 2012

Roche und Böhmermann zu Gast bei Hans Sarpei

Screenshot aus "Roche&Böhmermann" Folge vom 23.09.2012// zdf.kultur (Quelle)
Ich mag "Roche&Böhmermann". Ich mag die Anmoderationen von William Cohn, ich mag die Studioausstattung, das Licht, den Knopf zur Selbstzensur (wenn er nicht gerade Feuerwerkskörper zündet), ich mag die Atmosphäre der Sendung - "Alles kann, nichts muss.", wie Charlotte Roche erst heute/ gestern/ Fernsehmorgen sagt(e[n] wird) - und ich liebe die letzte Minute einer jeden Sendung, in der man die beiden offen reflektieren sieht über das, was gerade geschehen ist. Sogar die ewige Harald-Schmidt-Zeit-Reminiszenz empfinde ich da als verzeihlich. "Roche&Böhmermann" ist eine Sendung, in der und mit der man sich wohl- und verstanden fühlt als Internetkind. 

Passend zu diesem Gefühl, widmet sich die aktuelle Sendung nach Glump-Gimmick und Fiona-meets-Zerlett-meets-Bauerfeind-in-der-Bluebox allem, was einem zum Thema: "Quelle: Internet" so einfällt.William Cohn liefert einen Ratgeber, der dem geneigten Zuschauer, weit draußen am Empfangsgerät, "das sogenannte Internet" ein wenig näherbringt. Bei jeder Zensur-Entscheidung wird aufkommende Ernsthaftigkeit im Stumpfsinn berühmt-berüchtigter Internet-Videos erstickt (Chacarron Macarron!) und Ines sorgt für die "aktive Mitgestaltung der Sendung durch Sie, liebe Zuschauer"... Spätestens aber bei der Öffentlich-Rechtlichen-Lieblingsquellenangabe "Internet", die ironisch rechts unten auf jedem eingespielten Clip erscheint, zieht sich ein tiefes Lächeln der Genugtuung über die Gesichter aller Heimatsender-Geschädigten.

Screenshot aus "Roche&Böhmermann" Folge vom 23.09.2012// zdf.kultur (Quelle)


Insgesamt schien mir die Sendung dieses Mal sehr schnell vorbei zu gehen - ein gutes Zeichen. Andererseits wirkte sie irritierend respektive anders oberflächlich als gewohnt. Als Rolf Eden seine Meinung zur Beschneidungsdebatte kundtun will, wird er komplett abgewürgt - vielleicht fehlte dieses Mal einfach der durch und durch politische Gast, der andernmals auch gegen die Ablenkungsversuche von Roche und Böhmermann seine Ansichten hervorbrachte. Das wurde dann meistens rückblickend vor allem von Böhmermann als Stimmungskiller gewertet. Dieses Mal schien er geradezu panisch "Runterziehern" ausweichen zu wollen. Meiner Meinung nach verleihen einzelne ernsthaft hervorgebrachte Statements, zuweilen auch pathetisch-übertrieben wirkend, der Sendung aber erst das nötige Maß an Intensität: sie schaffen Orientierung in der Gradwanderung zwischen Nihilismus und Aktionismus und lassen andere, indifferent(-verantwortungslose) Bemerkungen erst wie gekonnte ironische Spielerei erscheinen.

Das BILD-Zeitungs-Versprechen, das Roche Jeannine Michaelsen "entlockte", zählt für mich nicht zu den ernsthaft-ehrlichen (und nicht bloß offenen) Tönen, wie sie etwa bei Böhmermanns klarer Stellungnahme gegenüber Britt anklangen, bei Kim Frank, Klaas, Sundermann, Anna Fischer oder im Disput Roche/Herre (auch wenn der Umgangston in diesem Fall eine andere Sache ist). Dass diese Momente der Ernsthaftigkeit selten von langer Dauer sind - was manch einer dem Format und in erster Linie auch den Moderatoren vorwirft - stört mich nicht. In der Regel halten sie lange genug an, um dem Zuschauer in Erinnerung zu bleiben und für eben jene Orientierung zu sorgen, die für das Konzept der Sendung notwendig ist.

Bei längerem Nachdenken fallen mir natürlich doch einige ernsthafte Sekunden ein, zum Beispiel Vetters Hinweis auf das mehr als fragwürdige Koblenzer Urteil zu Grenzkontrollen oder Michaelsens Anmerkung, dass es für jede (junge) Mutter schwierig sei, Kind und Beruf zu koordinieren - egal, ob "Regale-Einräumerin bei Rewe, oder Moderatorin im ZDF". Vielleicht war es also auch nur Ines als zusätzliches "Gimmick" (es fühlt sich nicht gut an, einen Menschen - und sei es nur in einer Rolle - so zu bezeichnen), das für ein Zuviel an Unruhe und Unterbrechung gesorgt hat. In Anlehnung an diese Liste stelle ich also fest: bitte nur ein Gimmick pro Sendung! (Sprich: entweder den Knopf mit Filmchen belegen oder Ines von einem Extrascheinwerfer anstrahlen lassen. Der Knopf ist mir lieber.)

So all in all (bei der Quellenangabe "Internet" muss ich unweigerlich an meine Schulzeit denken und die Predigten zum Thema "Google ist keine Quelle" - und ja, ich kann mir vorstellen, dass es schwierig ist, eine lange URL auf ein vergleichsweise kleines Hintergrundbild zu basteln, aber trotzdem!) ist und bleibt "Roche&Böhmermann" das erfrischende Kontrastprogramm zu Sendungen wie der "NDR Talkshow" - frei nach dem Motto: lieber die Angst vor versauter Stimmung qua Tiefgang zeigen, als alles verkrampft wegzualbern. Oder, wie Manuel Möglich in dieser Sendung gesagt hat: "Hier ist man Mensch, hier darf man sein."

Screenshot aus "Roche&Böhmermann" Folge vom 23.09.2012// zdf.kultur (Quelle)

21. September 2012

Knickknack For A Start


"Medianeras"/ "Sidewalls", Gustavo Taretto, 2011, Filmstill von The Clothes Horse

Remanenz ist ein Rückstand, das Weiterbestehen eines Reizes. Physikalisch gesehen versteht man darunter die Magnetisierung, die ein Teilchen nach Entfernen eines externen Magnetfeldes behält. Remanenz ist also ein Engramm, die Begeisterung nach einem tollen Moment, das Grübeln infolge eines guten Artikels, die Empörung nach Empörendem. Das Gefühl nach dem Geschehen. Remanenz ist das, was bleibt.

Ein Gedanke vielleicht, ein Ansatz, eine Idee oder gar eine in sich abgeschlossene Theorie. Remanenz ist etwas, das haften bleibt und sich einrichtet und in dem Teilchen weiterarbeitet. Etwas, das Altes wahrt und zu Neuem führt. Ein Bindeglied, ein Abdruck. 

Wenn man lange schon im Internet zuhause ist, wird es irgendwann Zeit, dass Remanenz zum Mem wird. Dass man Dinge weitergibt und nicht mehr bloß nimmt, sondern hinzufügt. Dass man für Gleichgewicht sorgt, indem man sich dem Sog ein Stück weit entzieht und anfängt, sich mit Remanentem auseinanderzusetzen. Schriftlich. Bloggend (vielleicht). Und (oder) aber: immer noch blind vor Liebe zum Internet.

Vor 14 Jahren vielleicht saß ich zum ersten Mal alleine vor einem Computer und habe Geschichten geschrieben, die Buchstaben waren und nicht mehr. Vor ziemlich genau zehn Jahren wurde ich ins Internet geboren mit einer E-Mail-Adresse in der Computer-AG. Seitdem bin ich verloren und sehr glücklich.